Unternehmen optimieren, der Vertrieb bleibt
In den letzten Jahren haben insbesondere Konzerne versucht ihre Strukturen massiv zu verschlanken, um sich auf ihr Kerngeschäft zu fokussieren. Alles, was nicht direkt zur Wertschöpfung beiträgt, wurde hinterfragt, umstrukturiert oder ausgelagert. Besonders Support-Funktionen wie Accounting, Einkauf oder HR standen unter enormem Kostendruck. Automatisierung und Outsourcing – häufig in Niedriglohnländer – führten zu signifikanten Einsparungen und einem massiven Stellenabbau in den Heimatmärkten.
Doch eine Abteilung hat diesen Effizienzmaßnahmen bislang weitgehend widerstanden: der Vertrieb. Während Support-Funktionen oft als Kostenfaktoren gesehen werden und wenig Argumentationsspielraum hatten, konnte sich der Vertrieb als kundennahe Funktion behaupten. Doch wie lange noch?
Warum der Vertrieb bisher unantastbar war
Natürlich hat auch der Vertrieb Veränderungen erlebt – aber in weitaus geringerem Umfang als andere Unternehmensbereiche. Die Gründe dafür sind vielfältig:
- Kurzfristige Performance-Risiken: Größere Umstrukturierungen im Vertrieb können unmittelbar Umsatz und Profitabilität beeinträchtigen.
- Unmittelbare Sichtbarkeit: Anders als bei Support-Funktionen sind Fehler und Ineffizienzen im Vertrieb sofort in der P&L spürbar.
- Fehlende Benchmarks: Mutige Entscheidungen ohne klare Vergleichswerte erfordern Buy-in auf allen Managementebenen.
- Starke interne Netzwerke: Vertriebsteams sind oft familiärer, interne Rotation ist seltener und Führungskräfte kommen meist aus den eigenen Reihen.
- Direkte Auswirkungen auf Kundenbeziehungen: Während Support-Funktionen intern agieren, hat der Vertrieb direkten Kontakt zu Kunden. Jeder Wandel kann zu Unsicherheiten führen.
Vergleich: Support-Funktionen vs. Vertrieb
Ein Beispiel verdeutlicht diese Unterschiede: Wird eine operative Einkaufseinheit ausgelagert, lassen sich Kosten unmittelbar reduzieren. Selbst wenn es Anlaufschwierigkeiten gibt, sind die Auswirkungen intern und werden meist erst verzögert sichtbar oder durch Kollegen und Kolleginnen aus dem eigenen Unternehmen kompensiert.
Ganz anders im Vertrieb: Würde man beispielsweise ein großes Außendienstteam ersatzlos streichen und digitale Kanäle als Ersatz einführen, wäre das Risiko enorm. Natürlich sind auch hier schnelle Einsparungen realisierbar. Allerdings würden auch Kunden sofort den Kontaktverlust spüren, Umsätze könnten einbrechen, und der Wettbewerbsdruck würde steigen.
Warum sich der Vertrieb verändern muss
Heute gibt es kaum noch große Teams außerhalb des Vertriebs. Einkauf, Buchhaltung und andere operative Funktionen wurden bereits effizienter gestaltet und ins kostengünstigere Ausland verlagert. Das bedeutet, dass der Druck auf den Vertrieb zunehmen wird.
Technologische Fortschritte, insbesondere durch Künstliche Intelligenz (KI), werden auch den Vertrieb verändern. Die Fragen lauten nicht „ob“, sondern „wie“:
- Außendienst-Ressourcen effizienter nutzen: Teure Reisezeiten und ineffiziente Routinen müssen minimiert werden. Zum Beispiel kann Omni-Channel Marketing den Vertrieb flankieren und entlasten.
- Transaktionale Aufgaben automatisieren: Kundeninteraktionen, die keinen persönlichen Kontakt erfordern, sollten durch digitale Lösungen ersetzt werden.
- Kostenbewusstsein stärken: Vertriebsteams müssen sich stärker mit ihren eigenen Kostenstrukturen befassen – nicht nur mit dem Umsatz.
- Technologie proaktiv nutzen: KI und datengetriebene Tools müssen aktiv eingesetzt werden, um Effizienz und Effektivität zu steigern.
Die Role der Führung: Mut zur Veränderung
Eine der größten Herausforderungen liegt sicherlich auf den Führungsebenen. Der Vertrieb benötigt auf allen Ebenen neue Fähigkeiten, um sich an die veränderten Marktbedingungen anzupassen. Das bedeutet:
- Mut zum Recruiting neuer Profile: Es reicht nicht mehr, nur klassische Vertriebsmitarbeiter mit Branchenerfahrung einzustellen. Unternehmen sollten offen dafür sein, auch branchenfremde oder funktionsfremde Talente in den Vertrieb zu integrieren – beispielsweise aus IT, BI oder Produktmanagement. Diese bringen neue Denkweisen und Fähigkeiten mit, die den Vertrieb strategisch weiterentwickeln.
- Technologische Kompetenz fördern: Führungskräfte müssen sicherstellen, dass ihre Teams moderne Tools und KI-gestützte Lösungen nicht nur kennen, sondern aktiv nutzen. Training und Change Management werden entscheidend sein.
- Kulturwandel vorantreiben: Vertrieb ist traditionell stark von persönlichen Beziehungen geprägt. Die Führung muss eine Balance zwischen den bestehenden Stärken und den neuen, datengetriebenen Möglichkeiten schaffen.
- Eigenverantwortung stärken: Ein effektiver Vertrieb der Zukunft bedeutet nicht nur bessere Tools, sondern auch eine Mentalitätsänderung. Vertriebsleiter sollten ihre Teams dazu ermutigen, proaktiv Kosten und Effizienzsteigerungen mitzugestalten – beispielsweise durch bewusstes Nicht-Nachbesetzen von Stellen, wenn es die Struktur erlaubt.
Der Vertrieb als Zukunftstreiber – statt als Kostentreiber
Unternehmen, die es schaffen, den Vertrieb weiterzuentwickeln, ohne dabei die Kundennähe zu verlieren, werden in Zukunft einen klaren Wettbewerbsvorteil haben. Der Schlüssel liegt nicht in radikalen Kürzungen, sondern in gezielter Optimierung: Mehr Wert aus bestehenden Strukturen schöpfen und moderne Technologien sinnvoll integrieren.
Das berühmte „gallische Dorf“ des Vertriebs wird nur bestehen bleiben, wenn es sich selbst modernisiert. Führungskräfte sind gefordert, nicht nur Umsatz zu maximieren, sondern auch die Effizienz zu steigern – bevor der Druck von außen es unausweichlich macht.
Dabei muss der Vertrieb konsequent auf Ergebnisse statt Aktivitäten ausgerichtet sein. Es zählt nicht, wie viele Kundenbesuche oder Gespräche stattgefunden haben, sondern welchen messbaren Wert sie geschaffen haben. Jeder Vertriebsmitarbeiter muss sich daran messen lassen, was unterm Strich herauskommt – sei es durch Umsatzwachstum, Kundenbindung oder margenstarke Abschlüsse. Eine Kultur der Ergebnisorientierung wird darüber entscheiden, ob sich der Vertrieb als leistungsstarker Motor im Unternehmen behaupten kann – oder ob er irgendwann doch zur nächsten großen Effizienzmaßnahme wird.