Mit dem Wort ‚natürlich‘ ist es so eine Sache. Auf der einen Seite beschreibt es eine zwangsläufige, vorhersehbare Entwicklung – quasi eine sich gleich der Naturgesetze ergebende Selbstverständlichkeit. Auf der anderen Seite bedeutet es so viel wie ‚naturnah‘ oder ‚an die Natur angelehnt‘.
Das perfide an einem Virus ist ja, dass es vorhandene Schwächen des Organismus findet und gnadenlos ausnutzt. Schwächen, die dem Organismus selbst meist gar nicht bewusst sind. Wir Menschen wissen darum und sind daher im Herbst und Winter besonders bemüht unsere Abwehrkräfte gegen Grippeviren zu stärken.
Trotzdem reagieren wir in der Wirtschaft weiterhin ausschließlich mit allopathischen Methoden. Wir ziehen wider besseren Wissens in den Kampf gegen die Krise, die doch nicht sein darf, suchen die schnelle Lösung, damit die Party wieder weitergehen kann, und werfen ein Medikament nach dem anderen ein, das vielleicht kurzzeitig das Fieber senkt, aber den Körper eher noch zusätzlich schwächt.
Unternehmen sollten jedoch anfangen umzudenken. Die Wirtschaft und die Unternehmen werden nur wieder aus dem Bett kommen, wenn wir auch im Wirtschaften ganzheitlich denken und das uns umgebende Ökosystem mit einbeziehen und die Wirkung über Kooperation verstärken. Wie Antikörper sollten wir Mitstreiter und Gleichgesinnte finden und uns verbünden.
In diesem Sinne deckt die Pandemie schonungslos die Schwächen der Unternehmen, ja des gesamten Wirtschaftssystems auf und führt zu Reaktionen, die in eine kolossale Krise = Krankheit mündet. Die Wirkweise der Natur – sei es im Positiven wie im Negativen und unabhängig von der Größe oder Struktur des Organismus – ist daher am Ende immer die Gleiche. Und mit der zunehmenden Klimaveränderung erwartet uns der nächste ‚natürliche‘ Veränderungsprozess, der uns weitere elementare Systemfehler aufzeigen wird.
Alleine die Nachrichten der letzten Woche liefern ausreichend Beispiele, welche Geschäftsmodelle besonders extrem von den Folgen der Corona-Krise betroffen wurden und dadurch zum Teil dramatisch an Unternehmenswert verloren haben. Dies sind vorrangig solche, die
- nur auf eine einzige, sehr preissensitive Leistung setzen (Lufthansa),
- das Thema ‚Nachhaltigkeit‘ zu lange nicht ernst genug genommen haben (Automobilindustrie),
- die Digitalisierung komplett verschlafen haben (KarstadtKaufhof),
- für den Profit menschenunwürdige Arbeitsbedingungen in Kauf nehmen (Tönnies),
- der Gier nach Größe und schnellem Wachstum alles andere – auch Ethik – untergeordnet haben (WireCard).
Viele werden voraussichtlich Mühe haben, das Geschäftsmodell in der bisherigen Form überhaupt aufrecht zu erhalten oder die nächsten Jahre zu überleben.
Dies sind nur die prominentesten Beispiele. Aber es zeigt sich ein Muster, dass Unternehmen, die keinen systemrelevanten Mehrwert bieten, sich vorzugsweise über den Preis definieren, gegen die Natur statt mit ihr wirtschaften, keine wesentlichen digitalen Kompetenzen aufweisen und ethische Werte ganz weit hinten ansiedeln, besonders krisenanfällig sind.
Widerstandskraft, Resilienz lässt sich am doch besten gerade von der Natur abschauen. Warum tun wir dies so selten? Wir werden nur dann die Probleme und Herausforderungen dauerhaft in den Griff bekommen, wenn wir anfangen unser Wirtschaftsmodell und unternehmerisches Handeln entsprechend anzupassen.
Selbst ein Wolfgang Schäuble appellierte in der FAZ diese Woche dafür „…unser gesamtes Wirtschaftsmodell kritisch zu überprüfen und die Exzesse der Globalisierung da zu korrigieren, wo sie zu den dramatischen Auswirkungen der Pandemie beigetragen haben. Deshalb sollten wir bei der Wiederbelebung unserer Wirtschaftssysteme besonderes Gewicht auf deren soziale und ökologische Nachhaltigkeit legen.“
Insofern liegt die Zukunft von Unternehmen in ‚natürlichen‘ Geschäftsmodellen. Das bedeutet allerdings mehr als nur Nachhaltigkeit zu propagieren. Vielmehr Naturgesetze in die Gestaltung des Unternehmens und seiner Wirkung auf die Gesellschaft mit einbeziehen, Mehrwertführer werden und die bisherigen, krisenanfälligen und rein finanzorientierten Erfolgsdefinitionen des Wirtschaftens bewusst in Frage zu stellen. Alles findet auf lange Sicht in einem Kreislauf statt. Einem Gewinn auf der einen Seite steht immer ein Verlust an anderer Stelle irgendwo auf dem Planeten gegenüber – in einem Unternehmen, in einer Gesellschaft oder in der Natur. Aktuell ist es am Ende ein Nullsummenspiel und die negativen Auswirkungen kommen irgendwann unweigerlich zu jedem von uns zurück. Die Gewinne von damals sind die Verluste von heute.
Derartige Gedanken sind nicht sonderlich neu. In einem vorangegangenen Artikel haben wir bereits aufgezeigt, dass die Notwendigkeit zum Umsteuern im Angesicht der allseits bekannten ökologischen und sozialen Probleme schon in den 90er Jahren intensiv diskutiert wurden. Ein derartiger Ansatz bedeutet für jedes Unternehmen etwas anderes. Aber es wird kein Unternehmenslenker daran vorbeikommen, sich mit diesen Überlegungen in der einen oder anderen Form auseinanderzusetzen, wo wir etwas anders machen müssen. Was wir die letzten 30 Jahren ignoriert haben holt uns nun umso heftiger ein. Jedem ist mittlerweile klar, dass wir nochmal 30 Jahre ‚business as usual‘ nicht mehr haben.
Ihr Roland Schulze